TRICKKÜNSTLER PICCOLINO
DAS ERSTE LEBENSJAHR EINES TRICKTRAINIERTEN MINIPIGS
Als unser kleiner
Piccolino bei uns einzog, waren wir gut vorbereitet. Da wir ein
Einzelschweinchen wollten, hatten wir uns für ein männliches
Tier entschieden. Mein Mann Albrecht und ich arbeiteten zu recht
unterschiedlichen Zeiten außer Haus, so dass fast immer jemand
daheim war und für ausreichend Ansprache des neuen
Familienmitglieds gesorgt sein würde. Wir hatten uns genau
erkundigt, ob das Zusammenleben mit unserer Hündin Pamina
voraussichtlich funktionieren würde und erfahren, dass es
regelrechte Schwein-Hunde-Freundschaften gibt. Wir hatten uns
zähneknirschend mehr oder weniger damit abgefunden, dass unser
neues Familienmitglied vor dem Gesetz als Vieh galt
und den Kleinen mit großen Bauchschmerzen vorschriftsmäßig bei
der Seuchenkasse angemeldet. Wir hatten uns durch den Dschungel
von einander widersprechenden Ernährungsempfehlungen gekämpft.
Wir hatten mit unserem Tierarzt gesprochen und angefragt, ob er
ein Schweinchen betreuen würde. Wir hatten Glück: Er kannte
sich mit Schweinen aus und meldete keine Bedenken an.
Wir waren eigentlich
auf alles gefasst, nur nicht darauf, dass Piccolino so scheu sein
würde. Fast den ganzen ersten Abend über weigerte sich der
kleine, gestreifte Kerl, seinen vertrauten Kennel zu verlassen.
Diesen hatte uns die Züchterin mitgegeben. Piccolino hatte
bereits in seinem ersten Zuhause darin geschlafen und fühlte
sich dort daher sicher. Und kaum machte sich der Winzling dann
doch daran, wenigstens seine unmittelbare Umgebung zu erforschen,
schien er nur auf der Flucht vor uns zu sein. Vorsichtig und
ruhig zum Beschnuppern dargebotenen Menschenhänden näherte er
sich nach einiger Zeit an. Allerdings schnupperte er nicht
er biss!
So ängstlich er sich
uns gegenüber verhielt, so forsch ging er mit seiner neuen
Kameradin Pamina um. Er bedeutete ihr, sie möge ihr Körbchen
verlassen, was diese auch tat, und der Dreikäsehoch legte sich
selbst hinein. Wer wie unsere Pammi die längste Zeit des Lebens
zusammen mit einem Dackel, ebenfalls mindestens so forsch wie
klein, verbracht hat, ist derlei gewöhnt. Nachdem die
Spielregeln klar waren, gab es keinerlei Machtkämpfe mehr.
Bereits nach zwei Tagen waren die beiden ein Herz und eine Seele.
Uns gegenüber blieb
das Schweinchen scheu und zurückhaltend. Eigentlich hatte ich
mir vorgenommen, dem Kleinen eine ruhige Eingewöhnungszeit zu
gönnen und erst nach etwa einer Woche mit dem Training zu
beginnen. Bereits am dritten Tag griff ich zum Clicker. Ich
hoffte, wenn ich mich auf diese Weise mit Piccolino
beschäftigte, würde er schneller Vertrauen zu mir fassen. Ich
sollte Recht behalten.
Schon unser erster
Versuch überraschte mich. Eigentlich wollte ich das Schweinchen
zunächst nur eine Flasche rollen lassen, eventuell noch einen
kleinen Teppich abrollen. Aber der kleine Kerl schien von diesem
Spiel einfach nicht genug zu kriegen. So stürzten wir uns gleich
noch auf das Target-Training. Nach zwei, drei Clicks folgte
Klein-Picco dem Target, einer roten Fliegenklatsche, wohin immer
ich ihn auch führte. Dass ich, der so unheimliche
Mensch, das Target festhielt, schien ihn plötzlich gar nicht
mehr zu stören.
Schließlich stellte
ich noch eine Kiste auf. Dass mein kleiner Anfänger in solchen
Riesenschritten lernen würde, hatte ich nicht erwartet: Er schob
sie an, er stellte die Vorderfüße darauf, kletterte hoch, in
die umgedrehte Kiste sprang er sofort hinein. Mit irgendwelchen
Zwischenschritten hielt er sich erst gar nicht auf. Schließlich
fing ich noch das Aufspringen als richtigen Trick
ein. Die Übung war sofort wiederholbar und abrufbar. Ziemlich
perplex und offensichtlich zum äußersten Missvergnügen des
Schweinchens beendete ich die erste Trainingseinheit.
Das Eis war gebrochen.
Ab und zu flüchtete Piccolino noch vor uns immer im
Rückwärtsgang. Ich fragte mich, was passieren
würde, wenn ich dieses Verhalten als Trick einfangen könnte und
beschloss, es auszuprobieren. Als Picco wieder einmal rückwärts
lief, clickte ich. Ohne die geringste Spur von Scheu kam er
angerannt, um sein Leckerchen abzuholen. Daraufhin lief er sofort
wieder rückwärts und wieder und wieder. Das Spiel schien ihm
jetzt enormen Spaß zu machen und ich bot ihm das Leckerchen aus
der Hand an. Er nahm es.
Bald hatten
Menschenhände ihren Schrecken verloren. Mit Albrecht spielte der
Kleine mit Vorliebe Schweineschmusen: Er bohrte den
Rüssel in Herrchens Hand und boxte mit Ausdauer dagegen. Mir
ließ er die Ehre des Schweineschmusens selten zuteil werden,
dafür überraschte er mich im Training mit immer neuen
Angeboten.
Als ich eines Tages
eine geschlossene Kiste mit Deckel vor ihn hinstellte, neugierig,
ob er wohl versuchen würde, diese zu öffnen, sprang er
zunächst hinauf, wie er das schon kannte. Nachdem ich diesmal
nicht clickte er hatte schon gelernt, dass dies bedeutete,
er solle etwas Neues anbieten sprang er zu Boden, fädelte
mit dem Rüssel unter dem Deckel ein und sprang, noch während er
diesen anhob, in die Kiste. Ich hatte mir vorgestellt, dass
Piccolino eventuell lernen würde, die Kiste zu öffnen und dann
hineinzuspringen. Aber dass er dies in einem Zug und auf Anhieb
tun würde, davon hätte ich nicht zu träumen gewagt.
Je wohler sich der
Kleine bei uns fühlte, desto frecher wurde er. Wenn ich in der
Küche hantierte, stand er laut kreischend daneben, er rempelte
gegen meine Beine oder zerrte na meinen Hosenbeinen. Ich erhielt
einige gute Ratschläge, ich solle ihn mit Wasser
bespritzen oder an den Hinterfüßen hochreißen zum Beispiel,
die ich natürlich ignorierte. Ich begann, ihn dafür zu
belohnen, dass er in sein Körbchen ging. Nachdem ich angefangen
hatte, das Bleiben im Körbchen variabel zu bestärken, merkte er
schnell, dass dies der einträglichste Aufenthaltsort war, und
das Problem war gelöst.
Dann überraschte mich
Piccolino erneut. Ich hatte alles über Schweineverhalten
gelesen, was ich in die Finger bekam. Ich hatte gelernt, dass
Schweine nichts im Maul tragen. Eines Tages gab ich Picco eine
recht große Möhre. Er befand sich gerade auf glattem Boden und
kämpfte mit dem Riesending, das ihm immer wieder wegrutschte.
Mit einem Mal schleppte er die Möhre auf den alten Teppich, den
wir extra für ihn ausgelegt hatten. Er trug sie! Und er schien
zu wissen, dass die Sache auf dem Teppich eher klappen würde.
Allerdings schaffte er es auch dort nicht, die Möhre zu
zerteilen. Darauf hin nahm er sie ins Maul, trug sie quer durch
die Küche und legte sie vor mich hin. Ich schnitt ihm seine
Möhre in mundgerechte Stückchen. Am nächsten Tag begannen wir
mit Apportierübungen.
Am Ende seines ersten
Lebensjahres beherrschte unser Schweinchen über dreißig,
teilweise auch sehr komplexe Kunststücke, die er mit großem
Eifer allein und zusammen mit Freundin Pamina ausführte.
Piccolino ist
inzwischen erwachsen. Aggressivität gegen Menschen und andere
Probleme, wie sie viele Minischweinhalter beklagen, haben uns nie
zu schaffen gemacht. Auch die etwas schwierige Zeit der
Adoleszenz, die im Alter von etwa zwei Jahren einsetzt, haben wir
gut überstanden. Picco hat unzählige Tricks gelernt, darunter
auch recht anspruchsvolle. Einen großen Teil davon hat er selbst
erfunden. Einige machen wir nicht mehr, andere haben wir zu
längeren Routinen zusammengefasst, so dass wir immer etwa
dreißig Tricks auf dem Programm haben. Er ist ein
braves und folgsames Schweinchen. Jeder, der ihn kennt, mag ihn
und bewundert seine Künste, die er mit Begeisterung vorführt.
Ja, das ist eine seiner wenigen Untugenden: Wenn
Besuch da ist, möchte er sofort auftreten, sonst
beginnt er zu jammern. Ich habe nun endlich verstanden, weshalb
Leute, die auf der Bühne arbeiten und dabei gerne im Vordergrund
stehen, Rampensau genannt werden und weiß: Es gibt
auch Rampeneber ...
Und immer noch braucht das kluge
Minipig-Köpfchen ständig neue Herausforderungen und immer noch
stehe ich daneben und staune, bin gerührt über seinen Eifer und
immer wieder überrascht über seine Einfälle. Manche Leute
bewundern meine Trickideen. Meistens kläre ich sie
auf: Es sind nicht nur meine Ideen, sondern auch die meines
klugen, kreativen Schweinchens Piccolino.